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Damals wurde der Einfluß der NSDAP unterschätzt. Mit ihrer Aussage »an allem sind die Juden schuld«, lenkte sie von den wirklichen Ursachen der Weltwirtschaftskrise ab. Ähnlich wie bei der im Mittelalter unbekannten Krankheit, der Pest, wurden die Juden zum Übeltäter erklärt. Wie tief die antijüdischen Vorurteile saßen, zeigt das Schreiben eines alten Hunsrückers an Julius Streichers Hetzblatt »Der Stürmer«, abgedruckt unter der Überschrift »Was die Hunsrücker über die Juden singen«:
»Lieber Stürmer!
Durch Deine Lektüre habe ich mir schon manche schöne Stunde verschafft. Es wird Zeit, daß ich mich für gehabte Freuden dankbar erweise. Deswegen teile ich Dir einige Sprüche mit, die der Hunsrücker Bauer schon in alten Zeiten auf die Juden gedichtet hat.

Judd, Judd, Stegge
moore sulls de fregge (sterben),
iwwermoore is de Tag
werd de krumme Judd begrab.

Ein anderer Spottvers, den jedes Hunsrücker Kind kennt, ist folgender:
Hepp, hepp, hepp,
die Welt is schepp (schief)
vun lauter krumme Jude,
der Blitz, der sull se all verschlahn,
der Deiwel sull se hule.

Mit diesen Sprüchen wollte ich Dir eine kleine Freude bereiten. Du ersiehst daraus, wie der gesunde Instinkt des Landvolks die Judenfrage richtig löst.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler!«62

»Hepp, hepp« war, wie bereits erwähnt, der Schlachtruf bei den gewalttätigen Pogromen im Jahre 1819, die an die antijüdischen Pogrome des Mittelalters anknüpften. Die mörderischen Sprüche lassen keinen Zweifel daran, was die Nazi-Partei und Teile der Bevölkerung als »die Lösung der Judenfrage« betrachteten.
In der durch Krisen aus den Fugen geratenen Welt hatten die Nationalsozialisten bei solcher Kontinuität des Judenhasses leichtes Spiel. Sie mobilisierten Affekte, die tief in antijüdischen Traditionen verwurzelt waren.
Noch im Jahre 1933 hofften Mitglieder der liberalen Parteien auf eine Besserung der wirtschaftlichen Misere. In seinem

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