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st unverkennbar vorhanden. Die Auffassungen über den Grad der Gärung sind jedoch sehr verschieden. Einzelne Winzer behaupten, daß es nur eines kleinen Anlasses bedarf, um eine Störung des Friedens hervorzurufen, während andere – insbesondere der Klerus – allgemein die Auffassung vertreten, daß öffentliche Unruhen vorläufig nicht zu erwarten seien ... Im Cochemer Krampen tritt die Not der Winzer offenbar am deutlichsten in Erscheinung, weil hier ausschließlich Weinbau betrieben wird und die geringen Erträgnisse der Landwirtschaft den Lebensmittelbedarf der Bewohner nicht zu decken vermögen. Die Stimmung der Winzer ist daher hier gedrückter als in irgend einer anderen Gegend des Moseltales. Es gibt hier Leute, die schon seit Monaten kein Geld mehr besitzen ... Kirchensteuern sind seit 1927 nicht mehr gezahlt worden. Die Erwerbslosen-Unterstützungsempfänger werden von den Winzern beneidet, die Beamten dagegen werden von ihnen angeödet ...«60
Der Kriminalkommissar erläutert weiterhin, daß in den katholischen Gegenden bisher die Zentrumspartei und in den protestantischen die Deutschnationale Partei überwiegend vertreten war. Als Hochburg und Keimzelle der Nationalsozialisten bezeichnet er Enkirch und meint, daß die Nationalsozialisten auf die Bewohner des Cochemer Krampen keinen Einfluß ausüben. Diese Einschätzung schränkt er jedoch folgendermaßen wieder ein:
Psychologen erklärten mir, die Moselaner seien Nachläufer und leicht zum Radikalismus zu bestimmen, während die Eifeler und Hunsrücker mehr konservativ eingestellt und daher leichter mit religiös-sittlichen Gefühlen zu führen seien.
Tatsächlich profitierten die Nationalsozialisten auch von der Unzufriedenheit der Eifel- und Hunsrückbauern.
Im Januar 1929 hetzte die nationalsozialistische Zeitung »Die neue Front« unter der Schlagzeile »Hunsrücker Bauern aufgepaßt, der Jude geht um«:
Ist es nicht bedauerlich, daß wie im übrigen Deutschland, so auch im Hunsrück, der mit einem kräftigen, urwüchsigen Volk besiedelt ist, heute der Jude von dem Schweiß der anderen lebt? Wer heute die Dörfer und Städtchen des Hunsrücks besucht, stellt mit Entsetzen fest, daß die meisten Geschäfte in Judenhänden sind ... Zu einem Vampyr an unserer Gesellschaft hat sich der jüdische Viehhändler herausgebildet. Bauern! Wie lange wollt Ihr noch zusehen, daß der Viehjude an Eurer Arbeit 70-100 Prozent verdient? Wie lange wollt Ihr noch tatenlos hinnehmen, daß irgendein entstandener Verlust auf Eure Kosten geht? Treibt den Juden aus dem Hof und bringt Eure Erzeugnisse selbst an den Mann ...61

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