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Die Teilnahme am I. Weltkrieg war für die deutschen Juden ein wichtiger Ausdruck ihrer Integration. Von den 120 000 Juden – einem Fünftel der gesamten jüdischen Bevölkerung – die als Frontsoldaten ihrem »Vaterland« dienten, fielen
12 000 im Krieg. Eine Vielzahl kehrte verwundet, oft mit Auszeichnungen versehen, in die Heimat zurück, die ihnen dieses Opfer für »Kaiser und Reich« wenig dankte.58


Vorboten des nationalsozialistischen Antisemitismus

Nach dem I. Weltkrieg setzte bezüglich der Juden eine sehr widersprüchliche Entwicklung in Deutschland ein. Einerseits brachte die Weimarer Republik die tatsächliche Gleichberechtigung. Juden wurden jetzt nicht nur »de jure«, sondern auch in der Realität wie normale Staatsbürger behandelt, das heißt, sie konnten in Verwaltungs-, Staats- und Regierungsämter gewählt werden. Walter Rathenau wurde ein sehr erfolgreicher Außenminister, aber als »Judensau« von deutsch-nationalistischen Terroristen ermordet.
Die Präsenz der Juden in Kultur und Wissenschaft war überproportional hoch. Beispiele dafür sind die Berliner Filmemacher Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Billy Wilder, Robert Siodmak und viele andere mehr, die später als Exilanten den Hollywoodfilm prägten. In der Wissenschaft prägen die Erkenntnisse von Albert Einstein und Sigmund Freud bis heute unser modernes Weltbild.
Trotz der zunehmenden Gleichstellung konnte der Aufstieg politischer Mächte, die das deutsche Judentum vernichten sollten, nicht verhindert werden.59
Der verlorene Krieg, die wirtschaftliche Notlage und die revolutionären Veränderungen trugen zu einer Ausbreitung des Antisemitismus bei. Darüberhinaus z.B. das antisemitisch sowie sozialistisch gefärbte Programm der Deutschen Arbeiterpartei gegen das »schmutzige« Kapital, und damit gegen die jüdischen Warenhäuser. Pseudowissenschaftliche Rassenlehren waren Vorboten eines bis dahin unbekannten Ausmaßes an Rassismus.
Im April 1930 reiste ein Kölner Kriminalkommissar für den Oberpräsidenten in Koblenz durch das Moseltal, um die Stimmung der Winzer zu beschreiben:
... denn der um Geld verlegene Winzer gibt schließlich seinen Wein zu einem Spottpreise ab (700 M je Fuder bei einem Realwert von mindestens 1100 M) ... Eine gewisse Gärung unter den Winzern

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