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lichen Berufe anzueignen, da der Handel, in dem sie über jahrhundertealte Erfahrung verfügten, bessere Möglichkeiten bot als je zuvor.
Infolge der Berufsbeschränkungen waren bis zur Emanzipation etwa 90% der erwerbstätigen Juden hauptsächlich im Klein- und Hausierhandel beschäftigt. Die restlichen 10% arbeiteten als Metzger, Schneider, Lehrer und Ärzte im Dienst der jüdischen Gemeinden.
Die tiefgreifenden gesamtgesellschaftlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert benachteiligten vor allem die Bauern. Vor diesem Hintergrund erregte die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung der Juden besonders die Mißgunst der Landbevölkerung:
Mit der Aufhebung der Hörigkeit waren die Bauern nicht nur persönlich frei geworden, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht sich selbst überlassen, ohne auf die Spielregeln einer freien Marktwirtschaft eingestellt zu sein.
In dieser Situation boten sich die Juden, die als Händler den harten Wirtschaftskampf von jeher kannten, als Vermittler an. Für längere Zeit lag auch in Eifel, Hunsrück und Mosel der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und das ländliche Kreditwesen fast ausschließlich in ihrer Hand. Gerade in der Übergangszeit zwischen 1815 und 1848, während in Preußen die Ablösung der bäuerlichen Lasten durchgeführt wurde, häuften sich Mißernten. Die in dieser Agrarkrise wachsende Erbitterung der verarmten Bauern richtete sich nicht nur gegen die Obrigkeit und die alten Grundherren, sondern schürte auch den Haß auf die jüdischen Händler, von denen sie sich besonders ausgebeutet fühlten. Im Sommer 1819 kam es in Würzburg zu Pogromen, die auf ganz Deutschland übergriffen. Der plündernde und prügelnde Pöbel rief »Hep Hep! Jude verreck!«, eine Parole, die in der NS-Zeit wieder aufgegriffen werden sollte und deren Ursprünge wahrscheinlich aus der Zeit der Kreuzzüge stammen: Hep ist eine Abkürzung des Ausrufs der Kreuzritter »Hierosolyma est perdita« (Jerusalem ist verloren).
Anlaß der sogenannten Hep!-Hep!-Krawalle waren, neben der ökonomischen Notlage, vor allem die Debatten um Emanzipation, in denen die traditionelle – und bisher stabile – Ungleichheit zwischen Christen und Juden in Frage gestellt wurde. Darüberhinaus schienen die Juden von den gesellschaftlichen Veränderungen materiell mehr zu profitieren. Der für die Bauern undurchschaubare Zwischenhandel

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