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transportieren und merkte, ich würde es nicht mehr lange überleben. Also verletzte ich mir beim Schweißen absichtlich die Bindehaut, um ins Krankenlager zu kommen. Hier traf ich zum ersten Mal Ernst Michelle, der später beim United Jewish Appeal arbeitete. Er riet mir dringend, noch am gleichen Tag die Krankenstation zu verlassen, denn am nächsten Tag würden alle Kranken ins Gas geschickt. Ich bekam dann eine leichtere Arbeit.
Als die Russen näherkamen, schickte man uns auf einen Todesmarsch. Wir haben mehrere Nächte in der Kälte draußen geschlafen, und viele sind morgens nicht mehr aufgestanden. Schließlich erreichten wir das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich. Dort mußten wir in einem Steinbruch arbeiten. Beinahe hätte ich mich freiwillig gemeldet, am Krematorium zu arbeiten, denn wer dort arbeitete, bekam mehr zu essen. Aber ich wollte diese Dinge nicht freiwillig tun. Später habe ich gehört, daß der polnische Junge, der dort arbeitete, von den Russen ins Krematorium geworfen wurde und bei lebendigen Leib verbrannte. Von Mauthausen kamen wir in Grotten unterhalb der Wiener Neustadt, wo Düsenjäger entwickelt wurden. Meine Kleidung war zerrissen, hing über dem Davidstern, so daß nur noch das untere Dreieck zu sehen war. Der Kapo unterstellte mir, ich würde versuchen, als politischer Häftling durchzugehen. Er befahl 25 Hiebe mit dem Rohrstock auf den nackten Hintern. »Zähl laut mit, sonst fang ich wieder von vorne an!« Abends meldete er den Vorfall dem Barrackenältesten, der daraufhin nochmal 25 Hiebe anordnete. Ich wurde ohnmächtig und kam unter der Dusche wieder zu mir. Ich kam nochmal nach Mauthausen zurück. Ungarische Juden, die sich weigerten Gräben auszuheben, wurden erschossen. Am nächsten Tag wurde Fleisch zum Tausch angeboten. Ich habe nichts genommen, denn es war klar,



Manfred Wolf berichtet in der Zeller Realschule von seiner Jugend in Deutschland.

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