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vorweisen kann, »... in jeder Beziehung in der Spitzengruppe ...«.14

Während 1936 in Berlin die Olympischen Spiele stattfinden, steuert Walter Kahn mit der »Statendam«der Holland-Amerika Linie nach New York ins Exil.
»Vorher hatte ich noch das >Vergnügen<, einen Aufmarsch der Bullayer Nazis mitzuerleben, diesmal fast schon der gesamte Gesellenverein im Gesang mit dabei: >Erst wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht´s uns wieder gut<. – Nie zu vergessen. – Heute will keiner Nazi gewesen sein. Alles klingt wie ein Märchen, doch hat es sich leider so zugetragen,« so schilderte Walter Kahn diesen unvergeßlichen Abschied von der einstigen Heimat.15

Im neuen Jahr schaffte es dann Walter Kahn, daß auch seine Mutter sowie sein jüngerer Bruder Ernst das rettende New York erreichten. »Die ersten Jahre der Hitler-Zeit, die wir ja noch erlebten von 1933 bis zu unserer Auswanderung 1937, hinterlassen noch viele Wunden. Doch wir hatten noch das Glück, frühzeitig der >Endlösung< zu entkommen«, schreibt Ernst Kahn später.3
Das Wohn- und Geschäftshaus in der Bahnhofstraße 127 hatten Kahns schließlich an ihre Nachbarn Stadtfeld verkauft, mit denen man stets gut ausgekommen war. Jahre zuvor hatte allerdings die NSDAP-Ortsgruppe Bullay versucht, den Metzgereibetrieb für einen Parteigenossen zu erwerben. Zu einem »wichtigen Gespräch« hatte man Frau Kahn nach 22 Uhr in der Dunkelheit in die Wohnung des damaligen Bahnhofsvorstehers und Parteigenossen B. bestellt. Dort eröffnete man Frau Kahn und ihrem Sohn Ernst, daß sie den Betrieb im »eigenen Interesse« verkaufen sollten, da Juden in Deutschland keine Zukunft mehr hätten. Der »gute Rat« des Bahnhofsvorstehers sah vor, daß die Familie Kahn bald Deutschland verlassen sollte, und zwar sollten die drei Söhne gleich in ein außereuropäisches Land auswandern, während Frau Kahn vorübergehend in die Stadt ziehen sollte, bis die Söhne Wohnung und Arbeit gefunden hätten, und sie dann nachreisen könnte.

Ernst Kahn hat diesen Moment nie vergessen, als seine Mutter blaß wurde, nach Fassung rang und sich schließlich Bedenkzeit erbat. Die NSDAP, so betonte Parteigenosse B., werde es nicht zulassen, daß es weiterhin in Bullay zwei jüdische

Während in Berlin die Olympischen Spiele stattfinden, flüchtet Walter Kahn (rechts) ins Exil.

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