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Judenmädchen huscht unter rotschwarzem, krausem, dicklichem Haar wie unter einer Wolke mit scheuem Satz aus einer Tür in eine andere über die Straße. Auch auf der Fähre sind beleibte, plumpe, gutmütig-langsame jüdische Weiber, scheu und fremdblickend, als gehörten sie noch dem Mittelalter an, sichtbar geworden. Hier tragen sie vielleicht noch an dem Geschick ihres Volkes. Hier siedelten ihre Väter, aus allen anderen Orten der Umgegend immer von neuem ausgewiesen, unter dem Schutz des Burgherrn, dem sie in den Weinbergen fronten, seit langen Jahrhunderten.9
Rudolf Binding konnte weder auf der Fähre beleibte, plumpe, gutmütig-langsame jüdische Weiber, noch ein Judenmädchen mit dicklichem Haar erblickt haben, da zu dieser Zeit nur noch das alte Ehepaar Koppel und Sigmund Lipmann in Beilstein lebten.
Der Weingartenbesitzer Sigmund Lipmann (geb.1869) war mit einer Katholikin verheiratet und der Sohn wurde im katholischen Glauben erzogen. Sigmund Lipmann starb im Jahre 1932 und wurde als letzter seiner Familie auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.
Die Reisebeschreibung von Saul Lilienthal10, der in der gleichen Zeit wie Binding die Mosel bereiste, entspricht eher der historischen Wirklichkeit:
Die schöne Gemeinde ist leider dahin und mit ihr das rege geschäftliche Leben, das einst in Beilstein war. Die Weinwirtschaft Lipmann in der ehemaligen fürstlich metternischen Hofkellerei blüht zwar noch im Besitz eines Sprossen der alten Familie und ist erfüllt mit kostbaren antiken Gräberfunden aus der Umgegend und wertvollen Gemälden, aber sonst wohnt dort nur noch ein altes jüdisches Ehepaar. Die etwa hundert Jahre alte Synagoge ist verlassen und verwahrlost ...



Sigmund Lipmann (rechts) mit Freunden vor seinem Haus.

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