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Nazizeit offensichtlich ein herrlicher Lebensabschnitt blieb. Seine diesbezüglichen Äußerungen waren unmißverständlich, und wenn er nach dem vierten, fünften Schoppen von heldischen Blutbädern »Fern bei Sedan« lallte, dann erschienen uns Jugendlichen die beiden Weltkriege eher als spannend-lustige Angelegenheiten, und nicht als abscheuliche, sadistische Ausnahmesituationen.
Die eigentlichen politischen, religiösen und moralischen Fragen, die der bisher einmalige Zivilisationsbruch erfordert hätte, wurden überwiegend ignoriert und nicht gestellt. Indem man Hitler für die Katastrophe und die Greueltaten verantwortlich machte, brauchte man sich der eigenen Verantwortung nicht zu stellen. Vor 1945 war Hitler für die meisten Deutschen der Retter und der von der »Vorsehung« bestimmte Führer, und danach galt er für die Mehrheit als Verbrecher und dämonischer Verführer. Auch in Bullay hatte man den »Führer« mit einer Ehrenbürgerschaft und einem Adolf-Hitler-Platz »gewürdigt«. Nach 1945 wurde aus dem »Ehrenplatz« wieder der »Verschönerungsgarten«. Hitler war nun die Projektionsfläche für die eigene nicht eingestandene Schuld oder die unguten Gefühle in den Nachkriegsjahren. Wie anscheinend problemlos und unehrlich man die Nazizeit »bewältigt« hat, macht auch eine Begegnung deutlich, die mir Maria Arenz schilderte. Sie, ehemals als Haustochter für Kahns tätig, stand mit Frau Kahn, die in den fünfziger Jahren einmal Bullay besuchte, in der Bahnhofstraße, als ihnen ein bekanntes Gesicht entgegenkam. Es war P. M., der im Erwachsenenalter schon früh in die Partei eingetreten war, und zur Zeit des Geschäftsboykottes in SA-Uniform vor den jüdischen Metzgereien Harf und Kahn Posten gestanden hatte. Als dieser ehemalige Parteigenosse nun Frau Kahn entdeckte, lief er auf sie zu und fiel ihr um den Hals und inszenierte eine Begrüßung, als habe er damals seine beste Freundin verloren. Frühere Gemeinheiten und Gefühlskälte wurden nach 1945 allzuhäufig bewußt vergessen, verdrängt oder mit billiger Rührseligkeit kaschiert. |
Walter Kahn bei seinem letzten Besuch an der Mosel im September 1995 mit seiner Nachbarin und Jugendfreundin Hilde Dohm geb. Stadtfeld. |