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noch mehr eingeschränkt, und in den folgenden Jahren wurden nach und nach eine Fülle von Gesetzen, Erlassen und Verordnungen, die Verbote und Zwangsmaßnahmen darstellten, in Kraft gesetzt, die die Juden immer mehr ausgrenzten.
Gustav und Lina Harf dürfen nicht mehr in Bullay leben und werden am 27.7.1942 in die Vernichtungslager deportiert.


Der Holocaust begann nebenan

Wie isoliert und einsam müssen sich Gustav und Lina Harf in ihren letzten Jahren bis zur Deportation in Bullay gefühlt haben? Als im Herbst 1941 alle Juden den »Judenstern« tragen mußten und mit dieser Polizeiverordnung auch verboten wurde, ohne Genehmigung den Wohnort zu verlassen, gab es keine Bewegungsfreiheit mehr für die Juden.
Das Ehepaar Harf traute sich kaum noch aus der Wohnung. Die wenigen Kontakte, die noch verblieben waren, hielt man abends zwischen Einbruch der Dunkelheit und Ausgangsperre aufrecht. Wenn Gustav Harf die Wohnung verließ, so berichtet eine Zeitzeugin, dann klemmte er sich mit dem Arm eine kleine Tasche an die linke Brust, um den Judenstern zu verdecken. Die Zeitzeugin, die damals im »Bund Deutscher Mädel« war, erinnert sich daran, daß sie einmal mit der »BDM-Gruppe« über den Lindenplatz marschierte und dabei auf Gustav Harf traf. Die Gruppe zog an Gustav Harf vorbei und sang dabei ein Spottlied mit dem Refrain:
»Krumme Juden ziehn dahin, daher;
sie ziehen durch das rote Meer,
die Wellen schlagen zu
und die Welt hat Ruh!«
Ein Refrain, den übrigens mehrere Zeitzeugen, die ich bei meinen Recherchen befragte, gut im Gedächtnis behalten haben und sofort abrufen konnten, da er offenbar zu vielen Anlässen und gerne gesungen wurde. Was muß ein alter Mensch, der einmal als Metzger eine wichtige Funktion im Dorf ausgefüllt hatte, nach einer solch totalen und mörderischen Ausgrenzung empfunden haben? Gerade im Dorf sind solche Demütigungen besonders spürbar und schmerzlich. Die Juden waren die offiziellen Parias; ausgestoßen und entrechtet. Ihre Angst und ihr stilles Leiden in der Zeit des gesellschaftlichen Ausgestoßenseins bis hin zu ihrem physischen Tod läßt sich von uns nicht einmal erahnen.

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